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Das Unfassbare: Diesen Schmerz, wenn das eigene Kind stirbt, kann keiner nachvollziehen
VON CORNELIA PUTSCHBACH, Südkurier, 06. Januar 2023
Verwaiste Eltern müssen nicht nur unbeschreibliche Schmerzen tragen. Oft wendet sich auch das Umfeld ab, weil Familie und Freunde überfordert sind. In Tannheim gibt es eine einzigartige Hilfe für verwaiste Eltern.

Beim gemeinsamen Abschluss einer Reha für verwaiste Familien der Nachsorgeklinik Tannheim lassen Eltern für ihre verstorbenen Kinder Luftballons in Herzform zum Himmel steigen. | Bild: Wilfried Dold
Für eine Psychologin ist es ein bemerkenswerter Satz: “Es gibt Dinge, über die spreche ich nicht einmal mit mir selbst.“ Der Satz steht auf einem Schild in Eva Herget-Berthomés Büro. Sie arbeitet gemeinsam mit ihrem Kollege Bennet Klein im psychologischen Dienst der Nachsorgeklinik Tannheim. Die Beiden betreuen Familien, in denen ein Kind verstorben ist.
Verwaiste Familien kommen nach Tannheim oft mit letzter Kraft. Sie haben zuhause vielfach die Erfahrung gemacht, dass zu dem unbeschreiblichen Schmerz durch den Tod eines Kindes noch weitere Probleme treten. Die Klinik in Tannheim ist bundesweit die einzige Einrichtung, die eine solche Reha für verwaiste Familien anbietet.
„Nicht Wenige erzählen, dass andere Menschen die Straßenseite wechseln, sich im Supermarkt eine andere Regalreihe suchen, um nicht mit dem Unfassbaren, Schmerzhaften, dem Tod eines Kindes konfrontiert zu werden“, sagt Eva Herget-Berthomé. Manche machen die Erfahrung, dass sich das soziale Umfeld aus Unsicherheit abwendet. Viele im Umfeld der Betroffenen wollen dieser harten Realität ausweichen.

Die beiden Mitarbeiter des psychologischen Dienst der Nachsorgeklinik Tannheim, Bennet Klein und Eva Herget-Berthomé unterhalten sich über die Reha für verwaiste Familien. | Bild: Cornelia Putschbach
Weiter berichtet Eva Herget-Berthomé aus ihren Gesprächen mit den Familien: „Oft sind selbst in der eigenen Familie die Kontakte erschwert oder sehr belastet. Die Eltern fragen sich auch oft, wie die Geschwisterkinder wohl die Trauer verarbeiten und wie sie sie unterstützen können, wo sie doch oft selbst so wenig Kraft haben. Die Sorgen, dass auch den Geschwisterkindern oder dem Partner etwas zustoßen könnte, werden größer.“
Familien, die zur verwaisten Reha nach Tannheim kommen, sprechen davon, hier zur Ruhe zu kommen und vor allem, vom Kontakt zu anderen betroffenen Familien zu profitieren. Hier in der Gruppe fühlen sie sich verstanden und aufgefangen.
„Der richtige Zeitpunkt für die Reha ist je nach Familie sehr individuell“, erklärt Bennet Klein. Die Erfahrung zeige jedoch, dass die Betroffenen in den ersten Monaten nach dem Tod meist „noch völlig neben sich stehen“. Eine Reha wäre dann zu früh. Deshalb sehe das Tannheimer Konzept einen gewissen Abstand zum Todeszeitpunkt des Kindes vor.

„Die Trauer der Eltern über ein verstorbenes Kind ist ihre fortbestehende Liebe. Die Reha steht nicht für das Ende der Trauer, aber dafür, dass sie sich verändert und sich etwas bewegt.“ Bennet Klein, Psychologischer Dienst Nachsorgeklink Tannheim | Bild: Cornelia Putschbach
Auch, wenn es in einer Therapie in gewisser Weise immer um Abschied und Trauer gehe, sei das existenzielle Thema Tod bei ihrer Arbeit, „das zentrale Kernthema“, so Eva Herget-Berthomé.
Beide Tannheimer Mitarbeiter haben für sich erkannt, dass die tägliche Beschäftigung mit diesem so unbequemen und nicht so gerne gesehenen Thema sie viel über das Leben lehrt. „Der Tod hängt eben untrennbar auch mit dem Leben zusammen. Für mich ist es eine große Bereicherung und ich lerne jeden Tag noch mal neu von den verwaisten Familien, was Leben heißt“, schließt sich Bennet Klein seiner Kollegin Eva Herget-Berthomé an.
„Es gibt Dinge, über die spreche ich nicht mal mit mir selbst“ soll heißen, so Eva Herget-Berthomé, „es gibt Dinge, die sind so tief und unfassbar, dass man kaum oder gar nicht Worte dafür findet. Sie weiß aber auch: „Das muss manchmal auch gar nicht sein und kann schon gar nicht erzwungen werden. Die Menschen kommen mit allem was ist und dennoch entscheiden sie selbst, was sie sichtbar machen möchten oder nicht.“

„Mit Verwaisten zu arbeiten heißt erst mal, auszuhalten, was ist und jeden in seiner individuellen Trauer zu stärken. Vom Umfeld erfahren Trauernde oft Druck oder Unverständnis für ihren Weg zu trauern.“ Eva Herget-Berthomé, Psychologischer Dienst Nachsorgeklink Tannheim | Bild: Cornelia Putschbach
Das Besondere ihrer Arbeit in Tannheim beschreibt die Psychologin so: „Mit Verwaisten zu arbeiten heißt erst mal, auszuhalten, was ist und jeden in seiner individuellen Trauer zu stärken. Vom Umfeld erfahren Trauernde oft Druck oder Unverständnis für ihren Weg zu trauern. Es sind meist gut gemeinte Ratschläge, die aber eben häufig wie Schläge empfunden werden, da sie etwas verdecken oder leichter machen wollen, was schwer ist.“
„Wenn es dem Umfeld gelingen würde, den Familien ihren Trauerweg zuzugestehen und mehr zu fragen als zu sagen, sie mehr anzunehmen und Hilfe anzubieten ohne sich aufzudrängen, dann wäre dieser so schwere Weg durch die Trauer vielleicht ein ganz klein wenig leichter“, gibt Eva Herget-Berthomé zu bedenken.
In Tannheim kommen die Familien in Kontakt mit anderen Betroffenen, und sehen, wie unterschiedlich Trauer des Einzelnen sein kann und vielleicht auch, dass es anderen Betroffenen an manchen Stellen ähnlich geht. Dennoch ist es wichtig, dass jeder für seine Trauer den passenden Weg findet.
Die Familien lernen, mit unterschiedlichem Trauerverhalten innerhalb und außerhalb der Familie umzugehen und einen eigenen, passenden Weg zu finden.

Eva Herget-Berthomé erklärt: „Jedes Familienmitglied muss lernen, mit dem Verlust zu leben und gleichzeitig das verstorbene Kind dennoch im Herzen zu behalten, nicht loszulassen, sondern eine individuelle Trauerkultur zu entwickeln. Dabei versuchen wir, den Familien zu helfen, sie zu stärken und zu unterstützen. Hier lernen die Familien sich über das manchmal Unaushaltbare, fast Unaussprechliche auszutauschen. Der Austausch mit anderen Betroffenen gibt Mut.“
In der therapeutischen Arbeit in der Nachsorgeklinik Tannheim geht es zu einem großen Teil auch um das Aushalten. Um die Fähigkeit, das Schwere mit zu tragen. Manchmal sagen Eltern: „Mir können sie sowieso nicht helfen, denn mein Kind ist tot und sie bringen es auch nicht zurück“. Eva Herget-Berthomé sagt: “Ja, die Situation können wir auch als Therapeuten nicht wieder herstellen…aber vielleicht können wir hier in Tannheim Wege zeigen, wie das Leben wieder lebbar werden kann.“
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Wenn der kleine Bruder stirbt: Plötzlich fehlt der Verbündete oder der Rivale
VON CORNELIA PUTSCHBACH, SÜDKURIER, 26. Dezember 2022
Kinder trauen anders: In der Reha für verwaiste Familien liegt ein Fokus darauf, wie die Geschwisterkinder den Tod verarbeiten. Zwei Pädagoginnen geben Einblick in ihre Arbeit.

Nadine Straub, Heilpädagogin in der Nachsorgeklinik Tannheim, (von links) beobachtet, wie Finn ein Plakat in Erinnerung an seinen verstorbenen Bruder zeichnet. | Bild: Cornelia Putschbach
Der Bruder ist nicht mehr da. Die Schwester ist plötzlich weg: Wenn Geschwister nach einer schweren Krankheit verstorben sind oder einen Unfall nicht überleben, dann sind das Einschnitte im Leben von Kindern, die tiefe Spuren hinterlassen. Bei einer Reha für verwaiste Familien in der Nachsorgeklinik Tannheim liegt ein besonderer Fokus auf den Geschwisterkindern, die den Tod des Bruders oder der Schwester erleben mussten. Kinder trauern anders als Erwachsene. Für die Eltern ist es deswegen oft schwer ersichtlich, wie es den Geschwisterkindern geht. „In den Familien liegt der Fokus meistens zunächst auf dem Tod des Kindes. Die Eltern trauern selbst. Es ist in dieser Situation schwer, den Bedürfnissen der Geschwisterkinder gerecht zu werden“, sagt Nadine Straub. Sie ist Heilpädagogin in der Nachsorgeklinik Tannheim.

In der Reha werden verwaiste Familien in Tannheim von einem interdisziplinären Team betreut. Geschwisterkinder ab dem Alter von vier Jahren kommen in einer altershomogenen und therapeutisch geleiteten Geschwistergruppe für verwaiste Kinder zusammen. „Die meisten Eltern kommen mit ihren Kindern hier her, weil sie wissen möchten, wie es den Geschwisterkindern geht“, erklärt Ute Löschel, Leiterin der Kinder- und Jugendabteilung in der Nachsorgeklinik Tannheim.
Doch wie trauern Kinder tatsächlich?
„Bei den Kindern und Jugendlichen aller Altersstufen spüren wir die unterschiedlichen Trauerphasen, verbunden mit Emotionen wie Verzweiflung, Wut, Ängsten, Unsicherheit, Schuldgefühle, intensivem Fragen und einigem mehr. In den Gruppenstunden oder auch mal in einem Einzelgespräch beschäftigen wir uns mit diesen Emotionen, betrachten wir den Alltag zu Hause oder gehen intensiv auf die Sorgen und Fragen der Kinder ein“, erläutert Ute Löschel.
„Die Kinder haben ihre eigenen Rituale und Symbole. Das können ein Stern, ein Schmetterling, ein Regenbogen, oder zum Beispiel auch ein Engel sein. Kleine Kinder haben noch eine ganz phantasievolle Vorstellung dessen, was nach dem Tod passiert. Oft sehen wir auch, dass die Kinder das Kuscheltier des verstorbenen Geschwisterkindes bei sich aufnehmen“, so Ute Löschel weiter.

Ute Löschel, Leiterin der Kinder- und Jugendabteilung in der Nachsorgeklinik Tannheim | Bild: Cornelia Putschbach
Die Eltern werden häufig von vielen Fragen der Kinder überrascht, oft aus dem Nichts heraus. Sie bekommen dafür den Rat, die Fragen zurück zu spiegeln. Also zum Beispiel zu fragen: Was glaubst du denn, von wo Paula uns jetzt zuschaut? Es ist auch absolut in Ordnung zu antworten: Da muss ich erst mal drüber nachdenken. Keinesfalls sollen Eltern aber die eigenen Vorstellungen vom Tod auf die Kinder übertragen, betonen beide Pädagoginnen.

Etwas anders sieht es bei älteren Geschwisterkindern aus. Nadine Straub berichtet: „Fotos sind hier etwas ganz Wichtiges. Meist sind sie auf dem Handy immer dabei.“ Eine typische Reaktion älterer Kinder sei es, sich von der Familie zurückzuziehen, sich abzuschotten und das Problem mit sich selbst auszumachen. Sie wollen ihre Eltern nicht noch mehr belasten. Freunde seien in diesem Fall ganz wichtig. Sie können ebenso auffangen und ablenken wie die Strukturen des Alltags mit Schule oder zum Beispiel Vereinstätigkeiten.
Schuldgefühle sind nicht gut
Auch Schuldgefühle kämen regelmäßig vor: Warum haben wir beide nur so oft gestritten? Warum wollte ich unbedingt das Fernsehprogramm bestimmen? Ganz alltägliche Auseinandersetzungen zwischen Geschwistern, die in jeder Familie vorkommen, werden im Nachhinein zum Ballast. „Diese Schuldgefühle versuchen wir den Geschwistern zu nehmen. Der Tod oder der Unfall sind oft noch sehr präsent. Wir rücken das Positive, die schöne gemeinsame Zeit wieder in den Mittelpunkt“, sagt Nadine Straub. Und auch ältere Geschwisterkinder und Jugendliche entwickeln ihre Rituale. So gehen sie vielleicht alleine auf den Friedhof oder denken vor dem ins Bett gehen nochmal ganz bewusst an das verstorbene Geschwisterkind.
Es fehlt plötzlich der Verbündete oder der Rivale
Der Tod eines Geschwisterkindes ist immer ein Verlust auf mehreren Ebenen: da zerbricht die einmalige Beziehung zu einer Schwester oder einem Bruder. Es fehlt eine Verbündete, ein Verbündeter oder der Rivale, mit dem auch mal gestritten werden konnte, ist nicht mehr da. Die Geschwisterkinder erfahren auch einen Rollenverlust. Plötzlich bin ich wieder die Jüngere, bin jetzt der Älteste von mehreren Geschwistern oder bin zu einem Einzelkind geworden. Immer aber bricht ein Teil der elterlichen Fürsorge weg, denn diese sind mit ihrer eigenen Trauer beschäftigt.

Ute Löschel und Nadine Straub erklären; „Nach der vierwöchigen Reha in der Nachsorgeklinik Tannheim bekommen die Familien von uns eine fachlich fundierte Einschätzung zum Trauerprozess der Geschwisterkinder mit nach Hause. Wir geben Hinweise und Empfehlungen, sollte eine weitergehende ambulante Begleitung erforderlich sein. Die kann zum Beispiel in Kinder- oder Jugendtrauergruppen erfolgen, in einer Kinder- und Jugendpsychotherapie oder auch in Spielgruppen oder bei einer Heilpädagogin vor Ort. Zum Abschluss des Gesprächs betont Nadine Straub: „Es ist sehr gut, dass die Thematik der Trauerarbeit für Kinder und Jugendliche immer mehr in den Fokus rückt.“
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28.11.2022
„Wenn er uns vermisst, schickt Sami Schmetterlinge“
VON CORNELIA PUTSCHBACH, SÜDKURIER, 28. November 2022
Sami Beytur ist sechs Jahre jung als er den Kampf gegen einen Tumor in seinem Kopf verliert. Seine Familie kommt zur Reha für verwaiste Familien nach Tannheim und findet dort eine Insel.

Es ist Ostern im April 2020, als Ümit Beytur mit seinem Sohn im Garten Fußball spielt. Fußball, das ist die große Leidenschaft von Sami. Er spielt selbst sehr gerne, drückt dem Sportclub Freiburg die Daumen und kann bereits wirklich gut mit dem runden Leder umgehen.
An diesem Nachmittag fällt dem Vater auf, dass Sami ungewohnte Probleme hat, den Ball anzunehmen und zu schießen. Kurz zuvor hatte er außerdem begonnen, „das linke Auge im Vergleich zum rechten etwas nachzuziehen“, wie sich sein Vater Ümit Beytur erinnert.
Ein unmittelbar vorgenommenes MRT und eine darauffolgende Biopsie brachten die grausame Erkenntnis, dass Sami einen Tumor (DIPG = diffuses intrinsisches Ponsgliom) im Hirnstamm, der eigentlichen Schaltzentrale des Gehirns, hat. „Sami hatte höchstgradig den allerschlimmsten Tumor erwischt.
Der hatte außerdem bereits heimtückisch das Gewebe in seinem Umfeld infiltriert“, sagt seine Mutter Hafize Beytur. Eine Heilungschance gab es nicht. Bestrahlungen, die das Wachstum des Tumors bremsen sollten und für die Sami über sieben Wochen regelmäßig in Vollnarkose gelegt werden musste, ertrug der Junge mit immenser Geduld.
Den Eltern gaben die Ärzte in dieser Zeit mit auf den Weg: „Schaffen Sie Erinnerungen!“. Es war klar, dass Sami den Tumor nicht überleben würde. Eine Frage stellten die Eltern aber ganz bewusst nicht. Sie hätte gelautet: Wie lange haben wir noch Zeit? „Es war klar, die Sanduhr läuft. Wir wussten aber nicht wie lange“, erinnern sich Hafize Beytur.

Die Familie erlebte jetzt eine intensive und auf besondere Art auch schöne Zeit. Sie bekam viel Unterstützung von Familie und Freunden sowie auch von außerhalb. Musicaldarsteller machten zur Hochzeit der Coronapandemie eine Privatvorstellung möglich. Ein Darsteller trat als Michael Jackson für den jungen, aber großen Fan des Sängers auf. Fußballer des Sportclubs Freiburg trafen sich mit ihm.
Im Herbst 2020 konnte Sami noch eingeschult werden. Den Schulranzen hatte er vor der Diagnose bekommen. Auf den ersten Schultag hatte er hin gefiebert. Körperlich wurden die Einschränkungen für Sami immer größer. In seinem Hirnstamm entwickelte sich zudem ein zweiter Tumor. Die rechte Körperhälfte war zunehmend von Lähmungserscheinungen betroffen. „Sami hat nie geklagt oder gemotzt. Er war ein Kämpfer und trotzdem immer fröhlich drauf“, erinnert sich seine Mutter.
Bis zehn Tage vor seinem Tod ging es ihm, begleitet von palliativmedizinischen Maßnahmen, mental gut. Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber auch körperlich schon sehr abgebaut. Wenige Tage vor seinem Tod hatte Sami erste Atemaussetzer. „Jetzt war es an der Zeit ihm zu sagen, dass er den Kampf gegen den Tumor verloren hatte. Wir haben ihm erklärt, dass er zu einem Engel wird“, erzählen die Eltern von diesem schwierigsten Gespräch, das sie je zu führen hatten.
„Auch da hat Sami bewundernswert reagiert“, sagt Hafize Beytur. „Ich habe keine Angst vor dem Sterben, aber ich habe Angst davor, Euch nie wieder zu sehen“, habe er zu ihr gesagt. „Wir haben darauf mit ihm vereinbart, dass er uns immer, wenn er uns vermisst, einen Schmetterling schickt“, erzählt sie weiter. Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der ersten Diagnose verlor Sami im April 2021 den Kampf.
Die Reha in der Nachsorgeklinik Tannheim
Schon bald nach dem Versterben von Sami war die Familie zum ersten Mal auf eine spätere Reha für verwaiste Familien in der Nachsorgeklinik Tannheim aufmerksam gemacht worden. Hier wollte sie sich dann auch unbedingt die dringend notwendige Unterstützung holen. Dies umso mehr als auch die inzwischen 16-jährige Tochter Sema einen schweren Stand im Leben hat. Sie kam als Frühchen mit weniger als 400 Gramm zur Welt und leidet unter anderem an Entwicklungsverzögerungen.
Weit mehr als ein Jahr hat es bis zum Start der Reha nun aber gedauert. Die Versicherung der Familie hatte unnötige Steine in den Weg gelegt. Umso mehr ist Familie Beytur jetzt froh, von dem für sich wichtigen Angebot in Tannheim profitieren zu können.„Hier bekommen wir Instrumente und Mechanismen mit auf den Weg, wie wir mit unserer Trauer umgehen können. Wir können uns mit anderen betroffenen Familien austauschen und auch Sema bekommt hier die Hilfe mit ihrer Trauer um den kleinen
Bruder umgehen zu können“, sagen die Eltern und fügen an: „Draußen müssen wir schwimmen. Tannheim ist für uns eine Insel. Hier können wir durchatmen und Kraft tanken.“
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Fördermodell „verwaiste Familien“
Kurzaufenthalte inclusive Seminare
Stationäre Reha-Maßnahmen für verwaiste Familien werden in Einzelfallentscheidungen allenfalls einmalig bewilligt. Positiven Erfahrungen mit zeitbegrenzten Seminaren haben uns dazu bewogen, die Betreuung verwaister Familien konzeptionell zu erweitern.
Ziel ist es, in Wochenendseminaren (3 bis 4 Tage) Einzelthemen der Trauer aufzuarbeiten. Tannheim bietet den trauernden Familien einen geschützten Raum, weit weg vom Alltag.
Beispielhafte Inhalte:
- „Wie gehen Freunde und Verwandte mit der Trauer um – gerade nach längerer Zeit?“
- „Wie kommt man mit den Meilensteine des verstorbenen Kindes (Einschulung etc.) zurecht, die Freunde und das familiäre Umfeld aktiv erleben?“
Der Förderverein stellt die finanziellen Mittel für 10 Seminare pro Jahr zur Verfügung.
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Erweiterter Schwerpunkt: Verwaiste Familien
Erweiterter Schwerpunkt für den Förderverein
Seit 2017 widmet sich der Förderverein der Nachsorgeklinik Tannheim einem weiteren Schwerpunkt. Konzentrierte sich der Verein bislang ausschließlich dem heiltherapeutischen Reiten, schenken wir in Zukunft den verwaisten Familien eine hohe Aufmerksamkeit. Insgesamt bieten wir zehnmal im Jahr entsprechende Programme an. Hierbei nehmen acht Familien gemeinsam an einem Rehabilitationsmodul für verwaiste Familien teil, individuell betreut von einem interdisziplinären Team.

Während die Geschwisterkinder in die Kinder- und Jugendgruppen der parallel stattfindenden Rehabilitationsmaßnahme für Familien mit chronisch kranken Kindern integriert werden, treffen sich die Eltern in einem verlängerten Wochenend-Seminar in einer eigenen Gesprächsgruppe. Diese Gruppensitzungen sind das Herzstück der Verwaisten Rehabilitation und bieten einerseits die entlastende Möglichkeit, sich mit anderen betroffenen Eltern auszutauschen.
Andererseits tragen thematische Inputs wie unterschiedliche Trauer innerhalb der Partnerschaft, Geschwistertrauer etc. mit dazu bei, die Fähigkeit zu Trauern zu stärken.
Raum für Gespräche
Ergänzend zu den Gruppensitzungen können je nach Bedarf psychotherapeutische Einzel- und Paargespräche und/oder Erziehungsberatung wahrgenommen werden.
Seit diesem Jahr stellt der Förderverein die benötigten Mittel zur Verfügung, damit insgesamt zehn Rehabilitationsprogramme für verwaiste Familien stattfinden können.